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Warum die Schwachen siegen. In summa: die Kranken und Schwachen haben mehr Mitgefühl, sind „menschlicher“ – : die Kranken und Schwachen haben mehr Geist, sind wechselnder, vielfacher, unterhaltender, – boshafter: die Kranken allein haben die Bosheit erfunden. (Eine krankhafte Frühreife häufig bei Rhachitischen, Skrophulosen und Tuberkulosen –) Esprit: Eigentum später Rassen: Juden, Franzosen, Chinesen. (Die Antisemiten vergeben es den Juden nicht, daß die Juden „Geist“ haben – und Geld. Die Antisemiten – ein Name der „Schlechtweggekommenen“.)

Die Kranken und Schwachen haben die Faszination für sich gehabt: sie sind interessanter als die Gesunden: der Narr und der Heilige – die zwei interessantesten Arten Mensch.... in enger Verwandtschaft das „Genie“. Die großen „Abenteurer und Verbrecher“ und alle Menschen, die gesündesten voran, sind gewisse Zeiten ihres Lebens krank: – die großen Gemütsbewegungen, die Leidenschaft der Macht, die Liebe, die Rache sind von tiefen Störungen begleitet. Und was die décadence betrifft, so stellt sie jeder Mensch, der nicht zu früh stirbt, in jedem Sinne beinahe dar: – er kennt also auch die Instinkte, welche zu ihr gehören, aus Erfahrung: – für die Hälfte fast jedes Menschenlebens ist der Mensch décadent.

Endlich: das Weib! Die eine Hälfte der Menschheit ist schwach, typisch-krank, wechselnd, unbeständig, – das Weib braucht die Stärke, um sich an sie zu klammern, und eine Religion der Schwäche, welche es als göttlich verherrlicht, schwach zu sein, zu lieben, demütig zu sein – : oder besser, es macht die Starken schwach, – es herrscht, wenn es gelingt, die Starken zu überwältigen. Das Weib hat immer mit den Typen der décadence, den Priestern, zusammen konspiriert gegen die „Mächtigen“, die „Starken“, die Männer –. Das Weib bringt die Kinder beiseite für den Kultus der Pietät, des Mitleids, der Liebe: – die Mutter repräsentiert den Altruismus überzeugend.

Endlich: die zunehmende Zivilisation, die zugleich notwendig auch die Zunahme der morbiden Elemente, des Neurotisch-Psychiatrischen und des Kriminalistischen mit sich bringt. Eine Zwischenspezies entsteht, der Artist, von der Kriminalität der Tat durch Willensschwäche und soziale Furchtsamkeit abgetrennt, insgleichen noch nicht reif für das Irrenhaus, aber mit seinen Fühlhörnern in beide Sphären neugierig hineingreifend: diese spezifische Kulturpflanze, der moderne Artist, Maler, Musiker, vor allem Romanzier, der für seine Art zu sein, das sehr uneigentliche Wort „Naturalismus“ handhabt.... Die Irren, die Verbrecher und die „Naturalisten“ nehmen zu: Zeichen einer wachsenden und jäh vorwärts eilenden Kultur, – das heißt, der Ausschuß, der Abfall, die Auswurfstoffe gewinnen Importanz, – das Abwärts hält Schritt....

Endlich: der soziale Mischmasch, Folge der Revolution, die Herstellung gleicher Rechte, des Aberglaubens an „gleiche Menschen“. Dabei mischen sich die Träger der Niedergangsinstinkte (des Ressentiments, der Unzufriedenheit, des Zerstörertriebes, des Anarchismus und Nihilismus), eingerechnet der Sklaveninstinkte, der Feigheits-, Schlauheits- und Kanailleninstinkte der lange unten gehaltenen Schichten in alles Blut aller Stände hinein: zwei, drei Geschlechter darauf ist die Rasse nicht mehr zu erkennen, – alles ist verpöbelt. Hieraus resultiert ein Gesamtinstinkt gegen die Auswahl, gegen das Privilegium jeder Art, von einer Macht und Sicherheit, Härte, Grausamkeit der Praxis, daß in der Tat sich alsbald selbst die Privilegierten unterwerfen: – was noch Macht festhalten will, schmeichelt dem Pöbel, arbeitet mit dem Pöbel, muß den Pöbel auf seiner Seite haben, – die „Genies“ voran: sie werden Herolde der Gefühle, mit denen man Massen begeistert, – die Note des Mitleids, der Ehrfurcht selbst vor allem, was leidend, niedrig, verachtet, verfolgt gelebt hat, klingt über alle andern Noten weg (Typen: Victor Hugo und Richard Wagner). – Die Heraufkunft des Pöbels bedeutet noch einmal die Heraufkunft der alten Werte....

Bei einer solchen extremen Bewegung in Hinsicht auf Tempo und Mittel, wie sie unsre Zivilisation darstellt, verlegt sich das Schwergewicht der Menschen: der Menschen, auf die es am meisten ankommt, die es gleichsam auf sich haben, die ganze große Gefahr einer solchen krankhaften Bewegung zu kompensieren; – es werden die Verzögerer par excellence, die Langsam-Aufnehmenden, die Schwer-Loslassenden, die Relativ-Dauerhaften inmitten dieses ungeheuren Wechselns und Mischens von Elementen sein. Das Schwergewicht fällt unter solchen Umständen notwendig den Mediokren zu: gegen die Herrschaft des Pöbels und der Exzentrischen (beide meist verbündet) konsolidiert sich die Mediokrität, als die Bürgschaft und die Trägerin der Zukunft. Daraus erwächst für die Ausnahmemenschen ein neuer Gegner – oder aber eine neue Verführung. Gesetzt, daß sie sich nicht dem Pöbel anpassen und dem Instinkt der „Enterbten“ zu Gefallen Lieder singen, werden sie nötig haben, „mittelmäßig“ und „gediegen“ zu sein. Sie wissen: die mediocritas ist auch aurea, – sie allein sogar verfügt über Geld und Gold (– über alles, was glänzt..). Und noch einmal gewinnt die alte Tugend, und überhaupt die ganze verlebte Welt des Ideals eine begabte Fürsprecherschaft.... Resultat: die Mediokrität bekommt Geist, Witz, Genie, – sie wird unterhaltend, sie verführt....

Resultat. – Eine hohe Kultur kann nur stehen auf einem breiten Boden, auf einer stark und gesund konsolidierten Mittelmäßigkeit. In ihrem Dienste und von ihr bedient arbeitet die Wissenschaft – und selbst die Kunst. Die Wissenschaft kann es sich nicht besser wünschen: sie gehört als solche zu einer mittleren Art Mensch, – sie ist deplaziert unter Ausnahmen, – sie hat nichts Aristokratisches und noch weniger etwas Anarchistisches in ihren Instinkten. – Die Macht der Mitte wird sodann aufrechtgehalten durch den Handel, vor allem den Geldhandel: der Instinkt der Großfinanziers geht gegen alles Extreme, – die Juden sind deshalb einstweilen die konservierendste Macht in unserm so bedrohten und unsicheren Europa. Sie können weder Revolutionen brauchen noch Sozialismus noch Militarismus: wenn sie Macht haben wollen und brauchen, auch über die revolutionäre Partei, so ist dies nur eine Folge des Vorhergesagten und nicht im Widerspruch dazu. Sie haben nötig, gegen andere extreme Richtungen gelegentlich Furcht zu erregen – dadurch, daß sie zeigen, was alles in ihrer Hand steht. Aber ihr Instinkt selbst ist unwandelbar konservativ – und „mittelmäßig“.... Sie wissen überall, wo es Macht gibt, mächtig zu sein: aber die Ausnützung ihrer Macht geht immer in einer Richtung. Das Ehrenwort für mittelmäßig ist bekanntlich das Wort „liberal“.

Besinnung. – Es ist unsinnig, vorauszusetzen, daß dieser ganze Sieg der Werte antibiologisch sei: man muß suchen, ihn zu erklären aus einem Interesse des Lebens, zur Aufrechterhaltung des Typus „Mensch“ selbst durch diese Methodik der Überherrschaft der Schwachen und Schlechtweggekommenen – : im andern Falle existierte der Mensch nicht mehr? – Problem – – –

Die Steigerung des Typus verhängnisvoll für die Erhaltung der Art? Warum? –

Es zeigen die Erfahrungen der Geschichte: die starken Rassen dezimieren sich gegenseitig: durch Krieg, Machtbegierde, Abenteuer; die starken Affekte: die Vergeudung – (es wird Kraft nicht mehr kapitalisiert, es entsteht die geistige Störung durch die übertriebene Spannung); ihre Existenz ist kostspielig, kurz – sie reiben sich untereinander auf –; es treten Perioden tiefer Abspannung und Schlaffheit ein: alle großen Zeiten werden bezahlt.... Die Starken sind hinterdrein schwächer, willenloser, absurder als die durchschnittlich Schwachen.

Es sind verschwenderische Rassen. Die „Dauer“ an sich hätte ja keinen Wert: man möchte wohl eine kürzere, aber wertreichere Existenz der Gattung vorziehen. – Es bliebe übrig, zu beweisen, daß selbst so ein reicherer Wertertrag erzielt würde als im Fall der kürzeren Existenz; das heißt, der Mensch als Aufsummierung von Kraft gewinnt ein viel höheres Quantum von Herrschaft über die Dinge, wenn es so geht, wie es geht.... Wir stehen vor einem Problem der Ökonomie – – –

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