658.

664.

Gesetzt, man denkt sich einen Philosophen als großen Erzieher, mächtig genug, um von einsamer Höhe herab lange Ketten von Geschlechtern zu sich heraufzuziehen: so muß man ihm auch die unheimlichen Vorrechte des großen Erziehers zugestehen. Ein Erzieher sagt nie, was er selber denkt: sondern immer nur, was er im Verhältnis zum Nutzen dessen, den er erzieht, über eine Sache denkt. In dieser Verstellung darf er nicht erraten werden; es gehört zu seiner Meisterschaft, daß man an seine Ehrlichkeit glaubt. Er muß aller Mittel der Zucht und Züchtigung fähig sein: manche Naturen bringt er nur durch Peitschenschläge des Hohnes vorwärts, andere, Träge, Unschlüssige, Feige, Eitle, vielleicht mit übertreibendem Lobe. Ein solcher Erzieher ist jenseits von Gut und Böse; aber niemand darf es wissen.

665.

Eine pessimistische Denkweise und Lehre, ein ekstatischer Nihilismus kann unter Umständen gerade dem Philosophen unentbehrlich sein: als ein mächtiger Druck und Hammer, mit dem er entartende und absterbende Rassen zerbricht und aus dem Wege schafft, um für eine neue Ordnung des Lebens Bahn zu machen oder um dem, was entartet und absterben will, das Verlangen zum Ende einzugeben.

666.

Der größte Kampf: dazu braucht es einer neuen Waffe.

Der Hammer: eine furchtbare Entscheidung heraufbeschwören, Europa vor die Konsequenz stellen, ob sein Wille zum Untergang „will“.

Verhütung der Vermittelmäßigung. Lieber noch Untergang!

667.

Wie kommen Menschen zu einer großen Kraft und zu einer großen Aufgabe? Alle Tugend und Tüchtigkeit am Leib und an der Seele ist mühsam und im kleinen erworben worden durch viel Fleiß, Selbstbezwingung, Beschränkung auf weniges, durch viel zähe, treue Wiederholung der gleichen Arbeiten, der gleichen Entsagungen: aber es gibt Menschen, welche die Erben und Herren dieses langsam erworbenen vielfachen Reichtums an Tugenden und Tüchtigkeiten sind – weil auf Grund glücklicher und vernünftiger Ehen und auch glücklicher Zufälle die erworbenen und gehäuften Kräfte vieler Geschlechter nicht verschleudert und versplittert, sondern durch einen festen Ring und Willen zusammengebunden sind. Am Ende nämlich erscheint ein Mensch, ein Ungeheuer von Kraft, welches nach einem Ungeheuer von Aufgabe verlangt. Denn unsere Kraft ist es, welche über uns verfügt: und das erbärmliche geistige Spiel von Zielen und Absichten und Beweggründen nur ein Vordergrund – mögen schwache Augen auch hierin die Sache selber sehen.

668.

Im allgemeinen ist jedes Ding so viel wert, als man dafür bezahlt hat. Dies gilt freilich nicht, wenn man das Individuum isoliert nimmt; die großen Fähigkeiten des Einzelnen stehen außer allem Verhältnis zu dem, was er selbst dafür getan, geopfert, gelitten hat. Aber sieht man seine Geschlechtsvorgeschichte an, so entdeckt man da die Geschichte einer ungeheuren Aufsparung und Kapitalsammlung von Kraft durch alle Art Verzichtleisten, Ringen, Arbeiten, Sich-Durchsetzen. Weil der große Mensch soviel gekostet hat und nicht, weil er wie ein Wunder als Gabe des Himmels und „Zufalls“ dasteht, wurde er groß: – „Vererbung“ ein falscher Begriff. Für das, was einer ist, haben seine Vorfahren die Kosten bezahlt.

669.

Die Mittel, vermöge deren eine stärkere Art sich erhält.

Sich ein Recht auf Ausnahmehandlungen zugestehen; als Versuch der Selbstüberwindung und der Freiheit.

Sich in Zustände begeben, wo es nicht erlaubt ist, nicht Barbar zu sein.

Sich durch jede Art von Askese eine Übermacht und Gewißheit in Hinsicht auf seine Willensstärke verschaffen.

Sich nicht mitteilen; das Schweigen; die Vorsicht vor der Anmut.

Gehorchen lernen in der Weise, daß es eine Probe für die Selbst-Aufrechterhaltung abgibt. Kasuistik des Ehrenpunktes ins feinste getrieben.

Nie schließen, „was einem recht ist, ist dem andern billig“, – sondern umgekehrt!

Die Vergeltung, das Zurückgebendürfen als Vorrecht behandeln, als Auszeichnung zugestehen.

Die Tugend der anderen nicht ambitionieren.

670.

Die Vermehrung der Kraft, trotz des zeitweiligen Niedergehens des Individuums:

Ein neues Niveau begründen.

Eine Methodik der Sammlung von Kräften, zur Erhaltung kleiner Leistungen im Gegensatz zu unökonomischer Verschwendung.

Die zerstörende Natur einstweilen unterjocht zum Werkzeug dieser Zukunftsökonomik.

Die Erhaltung der Schwachen, weil eine ungeheure Masse kleiner Arbeit getan werden muß.

Die Erhaltung einer Gesinnung, bei der Schwachen und Leidenden die Existenz noch möglich ist.

Die Solidarität als Instinkt zu pflanzen gegen den Instinkt der Furcht und der Servilität.

Der Kampf mit dem Zufall, auch mit dem Zufall des „großen Menschen“.

671.
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