652.

658.

Die Lust tritt auf, wo Gefühl der Macht.

Das Glück: in dem herrschend gewordnen Bewußtsein der Macht und des Siegs.

Der Fortschritt: die Verstärkung des Typus, die Fähigkeit zum großen Wollen: alles andere ist Mißverständnis, Gefahr.

659.

Ich wollte, man finge damit an, sich selbst zu achten: alles andere folgt daraus. Freilich hört man eben damit für die andern auf: denn das gerade verzeihen sie am letzten. „Wie? Ein Mensch, der sich selbst achtet?“ –

Das ist etwas anderes als der blinde Trieb, sich selbst zu lieben: nichts ist gewöhnlicher in der Liebe der Geschlechter wie in der Zweiheit, welche „Ich“ genannt wird, als Verachtung gegen das, was man liebt: – der Fatalismus in der Liebe.

660.

Mein neuer Weg zum „Ja“. – Philosophie, wie ich sie bisher verstanden und gelebt habe, ist das freiwillige Aufsuchen auch der verabscheuten und verruchten Seiten des Daseins. Aus der langen Erfahrung, welche mir eine solche Wanderung durch Eis und Wüste gab, lernte ich alles, was bisher philosophiert hat, anders ansehen: – die verborgene Geschichte der Philosophie, die Psychologie ihrer großen Namen kam für mich ans Licht. „Wieviel Wahrheit erträgt, wieviel Wahrheit wagt ein Geist?“ – dies wurde für mich der eigentliche Wertmesser. Der Irrtum ist eine Feigheit.... jede Errungenschaft der Erkenntnis folgt aus dem Mut, aus der Härte gegen sich, aus der Sauberkeit gegen sich.... Eine solche Experimentalphilosophie, wie ich sie lebe, nimmt versuchsweise selbst die Möglichkeit des grundsätzlichen Nihilismus vorweg: ohne daß damit gesagt wäre, daß sie bei einer Negation, beim Nein, bei einem Willen zum Nein stehen bliebe. Sie will vielmehr bis zum Umgekehrten hindurch – bis zu einem dionysischen Jasagen zur Welt, wie sie ist, ohne Abzug, Ausnahme und Auswahl –, sie will den ewigen Kreislauf: – dieselben Dinge, dieselbe Logik und Unlogik der Verknotung. Höchster Zustand, den ein Philosoph erreichen kann: dionysisch zum Dasein stehen – : meine Formel dafür ist amor fati.

Hierzu gehört, die bisher verneinten Seiten des Daseins nicht nur als notwendig zu begreifen, sondern als wünschenswert: und nicht nur als wünschenswert in Hinsicht auf die bisher bejahten Seiten (etwa als deren Komplemente oder Vorbedingungen), sondern um ihrer selber willen, als der mächtigeren, fruchtbareren, wahreren Seiten des Daseins, in denen sich sein Wille deutlicher ausspricht.

Insgleichen gehört hierzu, die bisher allein bejahte Seite des Daseins abzuschätzen; zu begreifen, woher diese Wertung stammt und wie wenig sie verbindlich für eine dionysische Wertabmessung des Daseins ist: ich zog heraus und begriff, was hier eigentlich Ja sagt (der Instinkt der Leidenden einmal, der Instinkt der Herde andrerseits, und jener dritte, der Instinkt der meisten gegen die Ausnahmen –).

Ich erriet damit, inwiefern eine stärkere Art Mensch notwendig nach einer anderen Seite hin sich die Erhöhung und Steigerung des Menschen ausdenken müßte: höhere Wesen, jenseits von Gut und Böse, jenseits von jenen Werten, die den Ursprung aus der Sphäre des Leidens, der Herde und der meisten nicht verleugnen können, – ich suchte nach den Ansätzen dieser umgekehrten Idealbildung in der Geschichte (die Begriffe „heidnisch“, „klassisch“, „vornehm“ neu entdeckt und hingestellt –).

661.

Der menschliche Horizont. – Man kann die Philosophen auffassen als solche, welche die äußerste Anstrengung machen, zu erproben, wie weit sich der Mensch erheben könne, – besonders Plato: wie weit seine Kraft reicht. Aber sie tun es als Individuen; vielleicht war der Instinkt der Cäsaren, der Staatengründer usw. größer, welche daran denken, wie weit der Mensch getrieben werden könne in der Entwicklung und unter „günstigen Umständen“. Aber sie begriffen nicht genug, was günstige Umstände sind. Große Frage: wo bisher die Pflanze „Mensch“ am prachtvollsten gewachsen ist. Dazu ist das vergleichende Studium der Historie nötig.

662.

Grundgedanke: die neuen Werte müssen erst geschaffen werden – das bleibt uns nicht erspart! Der Philosoph muß uns ein Gesetzgeber sein. Neue Arten. (Wie bisher die höchsten Arten [zum Beispiel Griechen] gezüchtet wurden: diese Art „Zufall“ bewußt wollen.)

663.

Gesetzgeber der Zukunft. – Nachdem ich lange und umsonst mit dem Worte „Philosoph“ einen bestimmten Begriff zu verbinden suchte – denn ich fand viele entgegengesetzte Merkmale –, erkannte ich endlich, daß es zwei unterschiedliche Arten von Philosophen gibt:

1. solche, welche irgendeinen großen Tatbestand von Wertschätzungen (logisch oder moralisch) feststellen wollen;

2. solche, welche Gesetzgeber solcher Wertschätzungen sind.

Die Ersten suchen sich der vorhandenen oder vergangenen Welt zu bemächtigen, indem sie das mannigfach Geschehende durch Zeichen zusammenfassen und abkürzen: ihnen liegt daran, das bisherige Geschehen übersichtlich, überdenkbar, faßbar, handlich zu machen, – sie dienen der Aufgabe des Menschen, alle vergangenen Dinge zum Nutzen seiner Zukunft zu verwenden.

Die Zweiten aber sind Befehlende; sie sagen: „So soll es sein!“ Sie bestimmen erst das „Wohin“ und „Wozu“, den Nutzen, was Nutzen der Menschen ist; sie verfügen über die Vorarbeit der wissenschaftlichen Menschen, und alles Wissen ist ihnen nur ein Mittel zum Schaffen. Diese zweite Art von Philosophen gerät selten; und in der Tat ist ihre Lage und Gefahr ungeheuer. Wie oft haben sie sich absichtlich die Augen zugebunden, um nur den schmalen Raum nicht sehen zu müssen, der sie vom Abgrund und Absturz trennt: zum Beispiel Plato, als er sich überredete, das „Gute“, wie er es wollte, sei nicht das Gute Platos, sondern das „Gute an sich“, der ewige Schatz, den nur irgendein Mensch namens Plato auf seinem Wege gefunden habe! In viel gröberen Formen waltet dieser selbe Wille zur Blindheit bei den Religionsstiftern: ihr „du sollst“ darf durchaus ihren Ohren nicht klingen wie „ich will“, – nur als dem Befehl eines Gottes wagen sie ihrer Aufgabe nachzukommen, nur als „Eingebung“ ist ihre Gesetzgebung der Werte eine tragbare Bürde, unter der ihr Gewissen nicht zerbricht.

Sobald nun jene zwei Trostmittel, das Platos und das Mohammeds, dahingefallen sind und kein Denker mehr an der Hypothese eines „Gottes“ oder „ewiger Werte“ sein Gewissen erleichtern kann, erhebt sich der Anspruch des Gesetzgebers neuer Werte zu einer neuen und noch nicht erreichten Furchtbarkeit. Nunmehr werden jene Auserkornen, vor denen die Ahnung einer solchen Pflicht aufzudämmern beginnt, den Versuch machen, ob sie ihr wie als ihrer größten Gefahr nicht noch „zur rechten Zeit“ durch irgendeinen Seitensprung entschlüpfen möchten: zum Beispiel, indem sie sich einreden, die Aufgabe sei schon gelöst, oder sie sei unlösbar, oder sie hätten keine Schultern für solche Lasten, oder sie seien schon mit andern, näheren Aufgaben überladen, oder selbst diese neue ferne Pflicht sei eine Verführung und Versuchung, eine Abführung von allen Pflichten, eine Krankheit, eine Art Wahnsinn. Manchem mag es in der Tat gelingen, auszuweichen: es geht durch die ganze Geschichte hindurch die Spur solcher Ausweichenden und ihres schlechten Gewissens. Zumeist aber kam solchen Menschen des Verhängnisses jene erlösende Stunde, jene Herbststunde der Reife, wo sie mußten, was sie nicht einmal „wollten“: – und die Tat, vor der sie sich am meisten vorher gefürchtet hatten, fiel ihnen leicht und ungewollt vom Baume als eine Tat ohne Willkür, fast als Geschenk. –

664.
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