563.

571.

Der starke Mensch, mächtig in den Instinkten einer starken Gesundheit, verdaut seine Taten ganz ebenso, wie er die Mahlzeiten verdaut; er wird mit schwerer Kost selbst fertig: in der Hauptsache aber führt ihn ein unversehrter und strenger Instinkt, daß er nichts tut, was ihm widersteht, so wenig, als er etwas ißt, das ihm nicht schmeckt.

572.

Die wohlwollenden, hilfreichen, gütigen Gesinnungen sind schlechterdings nicht um des Nutzens willen, der von ihnen ausgeht, zu Ehren gekommen: sondern weil sie Zustände reicher Seelen sind, welche abgeben können und ihren Wert als Füllegefühl des Lebens tragen. Man sehe die Augen des Wohltäters an! Das ist das Gegenstück der Selbstverneinung, des Hasses auf das moi, des „Pascalismus“.

573.

Zu den herrschaftlichen Typen. – Der „Hirt“ im Gegensatz zum „Herrn“ (– ersterer Mittel zur Erhaltung der Herde; letzterer Zweck, weshalb die Herde da ist).

574.

Hauptgesichtspunkt: daß man nicht die Aufgabe der höheren Spezies in der Leitung der niederen sieht (wie es zum Beispiel Comte macht –), sondern die niedere als Basis, auf der eine höhere Spezies ihrer eigenen Aufgabe lebt, – auf der sie erst stehen kann.

Die Bedingungen, unter denen eine starke und vornehme Spezies sich erhält (in Hinsicht auf geistige Zucht), sind die umgekehrten von denen, unter welchen die „industriellen Massen“, die Krämer à la Spencer stehen.

Das, was nur den stärksten und fruchtbarsten Naturen freisteht zur Ermöglichung ihrer Existenz – Muße, Abenteuer, Unglaube, Ausschweifung selbst –, das würde, wenn es den mittleren Nationen freistünde, diese notwendig zugrunde richten – und tut es auch. Hier ist die Arbeitsamkeit, die Regel, die Mäßigkeit, die feste „Überzeugung“ am Platze, – kurz die „Herdentugenden“: unter ihnen wird diese mittlere Art Mensch vollkommen.

575.

Daß man sein Leben, seine Gesundheit, seine Ehre aufs Spiel setzt, das ist die Folge des Übermutes und eines überströmenden, verschwenderischen Willens: nicht aus Menschenliebe, sondern weil jede große Gefahr unsre Neugierde in bezug auf das Maß unsrer Kraft, unsres Mutes herausfordert.

576.

„Sein Leben lassen für eine Sache“ – großer Effekt. Aber man läßt für vieles sein Leben: die Affekte samt und sonders wollen ihre Befriedigung. Ob es das Mitleid ist oder der Zorn oder die Rache – daß das Leben daran gesetzt wird, verändert nichts am Werte. Wie viele haben ihr Leben für die hübschen Weiblein geopfert – und selbst, was schlimmer ist, ihre Gesundheit! Wenn man das Temperament hat, so wählt man instinktiv die gefährlichen Dinge: zum Beispiel die Abenteuer der Spekulation, wenn man Philosoph, oder der Immoralität, wenn man tugendhaft ist. Die eine Art Mensch will nichts riskieren, die andre will riskieren. Sind wir anderen Verächter des Lebens? Im Gegenteil, wir suchen instinktiv ein potenziertes Leben, das Leben in der Gefahr.... Damit, nochmals gesagt, wollen wir nicht tugendhafter sein als die anderen. Pascal zum Beispiel wollte nichts riskieren und blieb Christ: das war vielleicht tugendhaft. – Man opfert immer.

577.

Seinem Gefühle folgen?“ – Daß man, einem generösen Gefühle nachgebend, sein Leben in Gefahr bringt, und unter dem Impuls eines Augenblicks: das ist wenig wert und charakterisiert nicht einmal. In der Fähigkeit dazu sind sich alle gleich – und in der Entschlossenheit dazu übertrifft der Verbrecher, Bandit und Korse einen honetten Menschen gewiß.

Die höhere Stufe ist, auch diesen Andrang bei sich zu überwinden und die heroische Tat nicht auf Impulse hin zu tun, – sondern kalt, raisonnable, ohne das stürmische Überwallen von Lustgefühlen dabei.... Dasselbe gilt vom Mitleid: es muß erst habituell durch die raison durchgesiebt sein; im anderen Falle ist es so gefährlich wie irgendein Affekt.

Die blinde Nachgiebigkeit gegen einen Affekt, sehr gleichgültig, ob es ein generöser und mitleidiger oder feindseliger ist, ist die Ursache der größten Übel.

Die Größe des Charakters besteht nicht darin, daß man diese Affekte nicht besitzt, – im Gegenteil, man hat sie im furchtbarsten Grade: aber daß man sie am Zügel führt.... und auch das noch ohne Lust an dieser Bändigung, sondern bloß, weil....

578.

Wo man die stärkeren Naturen zu suchen hat. – Das Zugrundegehen und Entarten der solitären Spezies ist viel größer und furchtbarer: sie haben die Instinkte der Herde, die Tradition der Werte gegen sich; ihre Werkzeuge zur Verteidigung, ihre Schutzinstinkte sind von vornherein nicht stark, nicht sicher genug, – es gehört viel Gunst des Zufalls dazu, daß sie gedeihen (– sie gedeihen in den niedrigsten und gesellschaftlich preisgegebensten Elementen am häufigsten; wenn man nach Person sucht, dort findet man sie um wieviel sicherer als in den mittleren Klassen!).

Der Stände- und Klassenkampf, der auf „Gleichheit der Rechte“ abzielt, – ist er ungefähr erledigt, so geht der Kampf los gegen die Solitärperson. (In einem gewissen Sinne kann dieselbe sich am leichtesten in einer demokratischen Gesellschaft erhalten und entwickeln: dann, wenn die gröberen Verteidigungsmittel nicht mehr nötig sind und eine gewisse Gewöhnung an Ordnung, Redlichkeit, Gerechtigkeit, Vertrauen zu den Durchschnittsbedingungen gehört.)

Die Stärksten müssen am festesten gebunden, beaufsichtigt, in Ketten gelegt und überwacht werden: so will es der Instinkt der Herde. Für sie ein Regime der Selbstüberwältigung, des asketischen Abseits oder der „Pflicht“ in abnützender Arbeit, bei der man nicht mehr zu sich selber kommt.

579.
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